Kurt Tucholsky

Zur soziologischen Psychologie der Loecher ( 1931 )

Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.
Das Loch ist der ewige Kompagnon des Nicht - Lochs.
Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut.
Waere ueberall etwas, dann gaebe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt.
Die Maus koennte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht - es ist beider letzter Rettung, wenn sie von der Materie bedraengt werden.
Loch ist immer gut.

Wenn der Mensch "Loch" hoert, bekommt er Assoziationen. Manche denken an Zuendloch, manche an Knopfloch und manche an.....Goebbels.
Das Loch ist der Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finsteren, stecken immer eines zurueck und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat. Sie werden hineingesteckt, und zum Schluss ueberblicken sie die Reihe dieser Loecher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstrasse ist Geburt Fluch: Warum sind diese Kinder auch gerade aus diesem gekommen?
Ein paar Loecher weiter, und das Assessorexamen waere ihnen sicher gewesen.

Das merkwuerdigste an einem Loch ist der Rand.
Er gehoert noch zum etwas, sieht aber bestaendig in das Nichts.
Das Loch ist eine Grenzwache der Materie! Das Nichts, aus dem das Loch besteht, hat keine Grenzwache: waehrend den Molekuelen am Rand eines Loches schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekuelen des Loches...festlig? Dafuer gibt es kein Wort.
Unsere Sprache ist von den Etwas - Leuten gemacht, die Loch - Leute sprechen ihre eigene. Das Loch ist statisch; Loecher auf Reisen gibt es nicht.
Loecher die sich vermaehlen, werden ein eines - einer der sonderbarsten Vorgaenge, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Loechern . gehoert dann der linke Rand zum Rechten Loch - oder der rechte zum Linken -oder jeder zu sich oder beide zu beiden?
Na, meine Sorgen moecht ich haben!

Wenn ein Loch zugestopft wird: Wo bleibt es dann?
Drueckt es sich seitwaerts in die Materie? Oder laeuft es zu einem anderen Loch und klagt ihm sein Leid? Wo bleibt das zugestopfte Loch?
Niemand weiss das - unser Wissen hat hier eines.

Wo ein Ding ist kann kein anderes sein. Wo schon ein Loch ist - kann da noch ein anderes sein? Und warum gibt es keine halben Loecher?
Manche Gegenstaende werden durch ein einziges Loechlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze uebrige nichts mehr. Beispiele:
Ein Fahrschein, ein Luftballon, eine Jungfrau.
Das Ding an sich muss erst gesucht werden, das Loch ist schon an sich. Wer mit einem Bein im Loch staeke und mit dem anderen bei uns, der allein waere wahrhaft weise.
Doch soll dieses noch keinem gelungen sein.
Groessenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas negatives.
Das ist nicht richtig: Der Mensch ist ein Nicht - Loch, und das Loch ist das Primaere. Lochen sie nicht!
Das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradiese, das es hienieden gibt.
Wenn sie tot sind, werden sie erst merken , was Leben ist!