Memoiren eines Weihnachtsbaums

Menschen sind schon komische Wesen. Das liebe lange Jahr ueber vergiften sie uns mit ihren Abgasen, beschweren sich trotzdem ueber das Waldsterben und hinterlassen allen moeglichen Muell in der Schonung. Aber dann, wenn es Winter wird, entdecken sie die grosse Liebe zu uns Baeumen. Nicht zu allen, denn die Kollegen von der laubtragenden Fraktion sehen dann recht schmucklos aus, sondern speziell zu uns Tannen. Ob Blau-, ob Edel-, Hauptsache Tanne muss es sein.

Geht es auf das Jahresende zu, fallen sie massenweise bei uns ein, graben uns aus oder hacken uns ab - aus lauter Liebe, versteht sich. Raus aus dem winterlichen Wald, rein in die warme Stube. Nein, ihr Taennchen, schuettelt nicht so unglaeubig mit dem Kopf, das tun die wirklich. Wie? Ja stimmt schon, die Menschen haben keine Nadeln und leben auch nicht im Wald; sie haben nichteinmal ein Fell, ausser auf dem Kopf, so dass sie jaemmerlich frieren, wenn es kalt wird. Aber sag selbst: Kann ein vernuenftiges Wesen daran glauben, dass es uns etwas gutes tut, wenn es uns ausgraebt oder gar abhackt und an einen warmen Ort traegt? Siehst du: kann es nicht. Aber damit beginnt die Sache ja erst.

Kaum war ich ausgeraben - zum Glueck haben sie mich nicht abgehackt - wurde ich in eine der grossen Qualmkisten verfrachtet, die die Luft verpesten. Nach einer endlos scheinenden Fahrt wurde ich abgeladen und durch einen Trichter gesteckt, der all meine Arme nach oben verbog, und landete schliesslich in einem 'Netz', das sie so verbogen hielt. "Spart Platz beim Transport", sagte ein Mensch zum Anderen. Dann wurde ich wieder verladen, rumgefahren und landete auf einem sogenannten 'Markt'.

Da standen noch andere Opfer der Liebe neben mir und viele Menschen wimmelten herum und einer war dabei, der schrie immer "Schoene, schoene Weihnachtsbaeume", aber ich war wenigstens meine Fesseln los. Doch nicht fuer lange. Jemand gab dem Schreihals einen buntbedruckten Lappen und dafuer wurde ich wieder durch den Trichter gestopft, gefesselt und von dem mit dem Lappen mitgenommen. So stand ich dann 3 Tage lang in einer Ecke. Dann kam der mit dem Lappen wieder - und mit ihm kleinere Menschen, die um mich rumsprangen und "Oh, ein Weihnachtsbaum!" riefen und den mit dem Lappen 'Papa' nannten.

Papa kratzte sich am Kopf und ueberlegte, wie ich wohl 'einzustielen' sei. Das dauerte eine Weile und schliesslich kam jemand, den die Kleineren 'Mama' nannten und meinte "Lass man dran den Ballen, Karl. Meiers tun ihrn auch im Gatten flanzn." Der Ballen, das waren meine Wurzeln und so waere ich um ein Haar doch noch abgehackt worden.

Dank Mama besann man sich darauf, mich in einen Topf zu setzen, ein wenig Erde drauf zu schuetten und mich in die Stube zu tragen. Dort wurde ich endlich meine Fesseln los. "Prima!" moegt ihr sagen, aber es war garnicht prima. Wenn ihr 3 Tage lang gefesselt in der Ecke gestanden habt, dann werden euch die Arme steif. Steife Arme aber gefielen den Menschen nicht und so versuchten sie, meine Arme durch Druecken wieder beweglich zu machen. Ist sehr unangenehm, wenn eingeschlafene Arme runtergedrueckt werden.

Kaum war das ueberstanden, ging es mit 'der Richtung' los. Im Wald geht links die Sonne auf und rechts wieder unter und das ist so ein Tannenleben lang. In den Stuben der Menschen wird man gedreht und gewendet, bis man garnicht mehr weiss, wo rechts und links ist. "Nein, da ist zu wenig Gruen, halt, zuweit, zurueck, ein wenig so rum, nein, doch wieder andersrum" geht es da. Und zwischendurch immer wieder "Meier's sieht aber schoener aus.", "Meiers haben den anders stehen" und "Meier's ist viel groesser.". Schliesslich stand ich wohl richtig, wenn auch nicht mehr wissend, wo links und rechts ist.

"Martta, hol domma die Kugelns raus!" kommandierte der, der Papa hiess, und es begann der Akt des Schmueckens. Das muesst ihr euch so vorstellen, dass alles moegliche Zeug an eure Arme geklemmt wird. Nein, Nein. Keine Vogelnester oder so etwas, sondern goldene, silberne, glaeserne, toenerne und was weiss ich noch alles fuer runde Gegenstaende. 'Kugelns' halt. Dann kommt noch Essen fuer Menschen dazu. Žpfel, Schokolade, Marzipan, Nikolaeuse und wer weiss was alles. Ach ja, die silbernen und goldenen Faeden, Lametta genannt, habe ich noch vergessen. Einmal haben sie mich so vollgehaengt damit, dass ich kaum noch was sehen konnte. Das schlimmste von allem aber sind die Lichter. Da gibt es elektrische, die sind unangenehm, weil alle Lichter mit einem Kabel verbunden sind. "Ne, Kalla, da iss doch allet auffem haufen und hier hasse garkeim Licht." sagt dann Mama und Papa erwidert "Iss nich, Martta, reicht dem Kabel nich fuer.". Das laesst Mama natuerlich nicht gelten und sagt: "Stell dich nich so an, wirs doch wohl noch nem laeppischen Baum schmuecken koennen." Das endet dann regelmaessig so, dass die Arme mit den Lichtern durch das Kabel gefesselt werden.

Viel schlimmer als die elektrischen sind aber noch die richtigen Lichter. Das sind 'Kerzen' genannte Dinger, die richtig brennen. Angst vor Feuer haben die Menschen auch, jedenfalls gucken Papa und Mama immer recht misstrauisch, wenn die richtigen Lichter brennen. Aber ich weiss nicht, warum die Menschen meinen, wir Tannen haetten keine Angst vor Feuer. Und wenn einem so eine Feuerkerze auf den Zweigen steckt, dann steht man nicht nur 1000 Žngste aus, das ist auch verdammt unangenehm, denn die Kerzen kleckern einem die Arme mit heissem Wachs voll. Solange es unsereins auf die Arme kleckert, scheint das niemanden zu stoeren, aber wehe, es kleckert auf den Boden. Dann faengt ein fuerchterliches Geschrei an; von wegen "der gute Teppich" und so. Aber ich bin schon viel zu weit.

Nachdem man dann mit dem ganzen Zeug vollgehaengt worden ist und als "geschmueckt" gilt, steht man erst einmal ein paar Stunden lang in der Ecke rum und hat ein wenig Zeit, sich von all den Schrecken zu erholen. Wenn Papa und Mama beginnen, Pakete und Paeckchen unter einem zu verstauen, und ihre Augen glasig zu schimmern beginnen, wird es gefaehrlich. Dann naht die Zeit der Bescherung. Die 'richtigen' Kerzen werden angesteckt und meisst auch noch so Dinger, die mit Feuer um sich werfen und 'Wunderkerzen' genannt werden und man ist halbtot vor Schreck.

Dann stuermt die ganze Kinderschar - diesmal sind auch die ganz kleinen dabei - auf einen zu und will an die Pakete, die Mama und Papa unter einen gelegt haben. Doch sie halten den Kinderorkan noch fern, der einen umzufegen droht, und beharren darauf, dass erst 'Gedichte' aufgesagt und 'gesungen' wird.

Gedichte, das ist sowas: Da stellt sich dann der kleinste Mensch hin und stammelt "Drauss' vom Walde komm ich her, ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr. Allueberall auf den Tannenspitzen, sah ich goldene Lichtlein blitzen." Dabei war der garnicht im Wald, sondern nebenan, bei Tante Hertha oder sonstwo, aber nicht im Wald. Und die einzigen 'Lichtlein', die ich jemals auf meinen Spitzen sitzen sah, sind die Kerzen verschiedener Art. Nicht, dass Mama und Papa aber nun herkommen undsagen "Nein, schau mal, so ist das nicht. Im Winter ruhen sich die Tannen aus und sie leuchten nicht, sondern stehen still an ihrem Platz, denken ueber den letzten Sommer nach und was im naechsten wohl kommen wird". Nein, Mama weint vor Freude und Ruehrung und auch Papa ist bewegt. Mamas "Hasse schoen gesacht! Gezz wollnwa singen!" leitet zum naechsten Akt ueber.

Gesang, das ist nicht, was ihr von den Voegeln kennt. Es ist eher so eine Art Geschrei. Wie das der Hirsche, wenn sie sich im Herbst um ihre Frauen balgen. Nur noch fuerchterlicher. Sie bruellen auch nicht "Ey, du Ohr, das ist mein Reh!" und "Verpiss dich, alter Angeber!", sondern "Stille Nacht.". Oder auch "Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie gruen sind deine Blaetter.". Ich koennte vor Wut jedesmal aus den Nadeln fahren.

Kaum ist das holzerschuetternde Geschrei verklungen, sagt Tante Hertha "Habbtan schoen Baeumken dies Jahr" und nach einem "Frohe Weihnacht" beginnt das Herauskramen der Pakete. Sie holen alles wieder weg, was sie gerade unter einen gelegt haben und packen aus, was voher eingepackt wurde. So Papa nicht vergessen hat, die Batterien fuer irgendwelches Kinderspielzeug zu besorgen, was dieses unbedingt zum Funktionieren braucht, sind alle erst einmal beschaeftigt. Das Ende des Rituals erkennt man an dem Dialog mit Tante Hertha. Der ist jedes Jahr gleich.

"Hach, Haertta ! E'n Pullowa! Waer doch nicht noetich gewesen" sagt Papa. Worauf die Tante erwidert: "Probier ma an, kannze umtauschen, wenna nich passt. Habbich nochen Bong von". Und das geht dann mit Mamma und Hertha und Hertha und "Kinnas" - das sind Mama und Papa - auch noch mal so. Und alle haben noch "den Bong fuer zum umtauschen".

In den naechsten 2 Tagen kommen dann Verwandte. Wieder mit Paketen, aber die werden einem nicht mehr untergeschoben, sondern direkt verteilt. Und wieder haben alle "den Bong fuer zum umtauschen" noch.

Man steht dann noch so 2 Wochen in der Ecke rum, ohne dass sich jemand gross um einen schert. Ausser, der Schlachtruf "Lass uns nomma 'n Baum anstecken" ertoent. Schliesslich sind die Menschen es leid, dass 'dieses Ding' noch laenger 'die Stube vollnadelt'. Wenn man das Glueck hatte, seine Wurzeln zu behalten, nehmen sie all das Zeug unter grossem Hallo wieder herunter, was sie einem vorher aufgeladen haben und verfrachten einen in den Garten. Da darf man sich dann den Sommer ueber erholen. Bis zum naechsten mal, wenn die Menschen ihre 'Liebe' zu uns Tannen entdecken.

(Quelle unbekannt)