Computerfreaks

Johannes Leckebusch; mc 4/1982

Daß sie was im Kopf haben, die Computerleute, wird jeder zugestehen. Ob aber einer, der nächtelang vor seinem Bildschirm hockt, anstatt ins Wirtshaus oder zum Tanzen zu gehen, da oben ganz richtig ist, wird von den lieben Mitmenschen gern bezweifelt. Fachkollegen bezeichnen manche Mitbrüder als Hacker, die mangels Kontaktfähigkeit den Umgang mit dem elektronischen Gegenüber anderen Menschen vorziehen. Sie sind aber sehr wohl gesellig, und am Computerstammtisch wird auch alljährlich gefragt, wer mit wem zum Skifahren verreist! mc beleuchtet ihr nächtliches Treiben.

Unermeßlich vielfältig sind die Arten der Erdenwesen. Daraus aber ragt der Mensch hervor, der die Sprache erfunden hat, die so vielseitig ist, daß man keine zwei findet, weiche ein und dieselbe sprechen."Prof Ungruen

Hier will ich von der Spezies der Computerfreaks berichten, deren Sitten sehr eigenartig sind (mit Erläuterung aller belangvollen Fremdworte).

Wer von den Computerfreaks kein eigenes System laufen hat, wer nicht tief in der Hardware wühlt, gilt bei ihnen wenig (so ist auch meine Situation unter ihnen sonderbar, weil ich meinen Computer nicht selbst gebaut habe). Sie werden beherrscht von dem Gedanken, jedes technische Problem lösen zu können, und das mit Leichtigkeit und in kurzer Zeit. (Ein System ist alles, was keines hat, Hardware das, was beim Runterfallen klappert, und Software das, wovon man logisch erklären kann, warum es nicht funktioniert. Nicht zu verwechseln mit dem Problem, herauszufinden, warum man sie nicht zum Funktionieren bringt, diese Frage ist ungelöst.)

Sie sammeln (meist abgekupferte, ein Ausdruck, den ich hier nicht näher erläutern will) Software, aber den meisten bedeutet die "höhere Software" eigentlich wenig. Ihre Domäne sind die Bits und Bytes, die Controler und schnellen RAMMs Viele wollen große Geschäfte machen, wozu sie sich persönlich ausersehen fühlen. In der Regel sind sie Einzelkämpfer, wiewohl sie auf eine gewisse geheimbündlerische Art zusammenhalten. (Bits und Bytes sind das, was zwischen, Soft-und Hardware steht, Controller und RAMMs unterscheiden sich nicht: schwarze Käfer mit einer geradzahligen Anzahl in Doppelreihe angeordneter spitzer Drahtfüßchen.)

Familienleben und Stammtisch

Manchmal hegen sie puritanische Neigungen, zum Beispiel hinsichtlich höchstqualitativer Disketten, deren Label (Etikett) sie, wenn überhaupt, nur zart in jungfräulicher Bleistiftschrift entweihen (wodurch ich schon mal eine mir überlassene Diskette irrtümlich gelöscht habe - aber das ist eine andere Story). (Ich nehme an, Sie wissen was ein Bleistift ist. Disketten sind schwarze Scheiben, auf denen angeblich etwas in magnetischer Schrift geschrieben ist, was aber unsichtbar und ans unbekannten ten Gründen auch mit dem Computer nicht zu lesen ist. Wenn man sie knickt, auf Magnete oder in die Sonne legt wird man ohne Kommentar umgebracht.)

Die Beziehung der Computerfreaks zum anderen Geschlecht wirft einige Fragen auf, vergleichbare gibt es höchstens bei Hifi-Enthusiasten, die um größere Boxen kämpfen und das Recht, sie nicht hinter dem Vorhang verstecken zu müssen.

Doch es ist anders, sie breiten ungehindert ihre Platinen und ICs in der Wohnung aus - weiß der Teufel, warum Eva das zuläßt. Verstehen tut sie nichts davon. Vielleicht aber gerade deshalb, denn die Frauen klagen die Männer wegen allerlei unvernünftiger Dinge an, zum Beispiel weil sie Kriege führen, verhindern tun sie doch nur das, was sie verstehen. Jedenfalls sind Leute, die solche Annoncen aufgeben: "Wegen Heirat Computersystem zu verkaufen", keine ganzen Männer.

Wenn Computerfreaks zusammenkommen dann nicht ohne meterlange, gefaltete Listings (das sind Papierfahnen, die von einem gräßlich ratternden sog. Drucker oder einer elektronischen Schreibmaschine ausgespien werden, welche am Computer hängen. Das ist übrigens der Grund, warum der Rest der Familie nachts nicht schlafen kann und diese dunklen Ringe unter den Augen hat - abgesehen davon, daß Computerfreaks zwischen 23 und 2 Uhr morgens auffallend viele Telefonanrufe oder Besuche erhalten, falls sie nicht um dieselbe Zeit beim Stammtisch sind.) Sie haben auch große Kisten bei sich, in denen sie sich Bücher, Geräte oder-vor allem - irgendwelche Platinen mitbringen. Sie lieben es außerordentlich, sich etwas Gedrucktes mitzubringen. (Platinen sind halt so Brettla (schwäbisch für: Platine, gedruckte Schaltung) mit Leiterbahnen drauf, auf ihnen befinden sich die schon beschriebenen Käfer, wobei vor allem wichtig ist, wie dünn und eng beieinander die Leiterbahnen (die silbrigen Striche) sind, das heißt man Packungsdichte und es ist sehr wesentlich, weil der Computer daraus besteht.) Dabei wechseln innerhalb eines Clubs oder Stammtisches die Standards - früher fachsimpelte man über Kassetteninterfaces (da hörte man es sehr schrill zirpen wie von einer Grille, die die Schallmauer durchbricht), dann über kleine, später große Disklaufwerke. (Sie müssen sich die Maße 3 1/2 Zoll und 5 1/4 Zoll merken, wenn Sie mitreden wollen. In die Laufwerke schiebt man die genannten schwarzen Scheiben und sucht die Ursache dafür, daß man sie nicht lesen kann.)

Das treibt sie an

Typischerweise werden große Projekte ins Auge gefaßt, die nie realisiert werden (sowas dürfen Sie aber nicht laut sagent!), dennoch gibt es einen eindeutigen und überraschenden Fortschritt, denn diese Projekte bauen ja auf den früheren Projekten auf. Man kann das nicht verstehen, wenn man nicht einsieht, daß in der Computerei vor allem der abstrakte Entwurf zählt. Die Philosophie der Computerfreaks ist in gewisser Weise durch Prof. Ungruens Satz zu charakterisieren: "Nichts ist langweiliger als ein Programm, das endlich fehlerfrei läuft." Das muß wohl auch auf die Hardware zutreffen. Sie haben ein sehr großes Talent, diesen traurigen Zustand nie eintreten zu lassen, aber sie glauben, daß sie permanent mit aller Kraft versuchen, diese Situation zu überwinden. Sie unterhalten sich in einer Weise, daß ein gewöhnlicher Sterblicher bei jedem zweiten Wort nicht weiß, wo er es nachschlagen könnte - es ist auch nicht sicher, daß sie sich gegenseitig verstehen. Wenn drei sich unterhalten, kann mindestens einer nicht ganz folgen, weil er sich mit einem anderen Spezialgebiet befaßt.

Mit großer Leidenschaft diskutieren sie über Programmiersprachen, deren Compiler sie sammeln (und auswendig wissen, wie schnell dieselben übersetzen), aber man kann davon ausgehen, daß sie keine einzige all dieser Sprachen wirklich beherrschen (wenn doch, handelt es sich gewiß um Basic oder Fortran ausgenommen natürlich die Assemblersprache ihres Prozessors (sie gruppieren sich immer um Prozessoren). (So viele Begriffe - also Compiler sind Programme, die Programmiersprachen in andere Programmiersprachen übersetzen, was ungeheuer nützlich ist, vor allem weil man ja auch die Compiler in irgendeiner Sprache schreiben muß - aber das ist vielleicht zu hoch. Mit Assemblern (die auch übersetzen) macht man Programme für den Menschen unleserlich, woraus die Computerfreaks eine ausgedehnte Freizeitbeschäftigung schöpfen. Sie versuchen vor allem, die Programme aus der Maschinensprache wieder zurückzuübersetzen, um bequemer zu sehen, wie miserabel sie geschrieben sind und sie anschließend grundlegend zu verbessern (manchmal tun sie das auch, ohne die Programme rückzuübersetzen, sie denken also direkt in der Logik der Maschine, was große Askese erfordert, von ihnen aber lustvoll erlebt wird). Ein Prozessor ist, was eigentlich die ganze Arbeit tut, falls der Computer doch mal funktionieren sollte.

Das sind ihre Sprachen

Bei den Programmiersprachen gibt es Modeströmungen, die ungefähr mit den Jahreszeiten wechseln. Man bevorzugt esoterisches wie "C" oder "Lisp" bzw. Handfestes (Fortran,Cobol), aber eigentlich gibt es für jede Sprache (PL/1, Forth) jemanden, der alles übrige als Quatsch abtut. Was sich zu gemein und wichtig macht, wie Ada ist schon nicht mehr interessant. Und Pascal - also wenn sie mich fragen, wird es viel zu wenig verstanden... Übrigens gibt es innerhalb einer Programmiersprache mehr Dialekte als zwischen Nürnberg und dem Allgäu, woran man die kulturelle Vielfalt dieser Seite unserer Zivilisation ablesen kann. Bisweilen kommt es vor, daß sie über geheimnisvolle Dinge in homerisches Gelächter ausbrechen (nicht mitzulachen ist ein Zeichen mangelnder Intelligenz), zum Beispiel über einige Assembler-Statements oder die Schaltung eines Datenseperators - ihre Zunft scheint eine neue Art von Komik zu kreieren. (Hier muß ich passen - Witze kann man nicht erklären, auch nicht Computerwitze - man versteht's hält oder aber nicht!) So ist ihr Gebiet alles andere als trocken, es lebt, Systeme und Software, die nicht laufen wollen, sind eine spannendere Herausforderung als ein Dschungelabenteuer. Es wäre auch völlig verfehlt, sie als Fachidioten oder einseitige Tüftler anzusehen.., ihre Interessen scheinen so vielfältig, ihre Vorlieben so unterschiedlich zu sein wie die Sitten verschiedener Völker.

Ordnung: Chaos mit System

Häufig haben sie auch sonst einen ausgefallenen, gehobenen Geschmack, was Kunst, Musik, Literatur betrifft, eine Neigung zum Surrealismus oder Kubismus (vor allem bei den Gehäusen) ist nicht selten, dagegen findet man kaum Gartenzwerge. Auffällig ist die in höherem Sinne bestehende Ähnlichkeit ihrer Wohnungen und Zimmer. Diese sind niemals unpersönlich wie vielleicht bei Technokraten oder bei Angestellten. Manche sammeln Antiquitäten, zum Beispiel Volksempfänger oder Kernspeicher. Im Umfeld findet man LaserFreaks. Natürlich herrscht im engeren Aufenthaltsbereich die Technik vor: Man sieht in jedem Fall einen oder mehrere Bildschirme (ev. auch alte Fernseher), diverse Tastaturen, vorzugsweise stecken irgendwo Platinen. Je nach Temperament ist alles Drahtige hinter Frontpanels verborgen (die anderen FrontplattenFreaks sind die Hifi-Enthusiasten oder es schlingen sich lianengleich Kabelpipelines durchs ganze Zimmer. Die Regale an den Wänden reichen grundsätzlich nicht aus, um die Ordner `mit Disketten und Handbüchern zu fassen, auf dem Tisch, am Boden sieht man weitere Stapel, dazu Platinen (mit oder ohne Käfer, häufig offenbar nur teilweise besetzt), Vorräte an Draht und Papier, Lötkolben, Oszilloskope und, daran kann man sie eindeutig von den Radiobastlern und Amateurfunkern unterscheiden: Drücker. Irgendwelche geöffneten, demontierten oder aber im Aufbau (oder in beiden Stadien gleichzeitig) befindliche Geräte sind angezeigt. In extremen Fällen gleicht das Gelände einem Bundeswehübungslatz im Endstadium, es türmen sich mehrere Monatsschichten Zeitschriften, Bücher, Schraubenzieher, Unterhosen, Bohrmaschinen, Feilen, Gehäusebauteile, Wienerwald-Tüten und Geräte nicht unter der 1000 DM-Klasse zu einem Dschungel, in dem ständig etwas gesucht wird (vorzugsweise banales Werkzeug wie Schraubenzieher, dessen Verlust die Arbeit stundenlang aufhält).

Ringen um Perfektion

Es ist für den Unverständigen schwer zu begreifen, woran sie eigentlich arbeiten. Befragt mau sie, so erhält man übrigens detaillierte und geduldige Auskunft darüber, daß sie an etwas arbeiten, was die, unabdingbare Voraussetzung für ein anderes vorhaben ist, das vielleicht seinerseits nur Mittei (zu welchem?) Zweck ist. Nie findet mm sie mit etwas Endgültigem beschäftigt, ja es scheint die Essenz ihres ganzen Strebens zu sein, daß sich alles im Fluß befindet. Vielleicht hat ihr Hobby eigentlich keinen Zweck, und ist somit das edelste überhaupt, sie arbeiten unermüdiich für etwas, das sie nie erreichen, dem sie nicht einmal nahekommen, ein Zustand endloser Glück Seligkeit!

Ihr Wissen ist immens, sie beherschen unzählige Kniffe, deren Sinn einem Uneingeweihten verchlossen bleibt, vor allem aber änderm und verbessern sie Betriebssysteme und Geräte. Betriebssysteme sind das, worüber sich Laien am Computer am meisten ärgern, weil es sie hindert, zu erreichen, was sie eigentlich wollten, als sie sich an die Tastatur setzten.) Ständig kämpfen sie gegen den Mangel an Perfektion, die sie doch nie erreichen. Scheinbare Perfektion vertuscht den Umstand, daß alles in der Computerwelt unvollkommenes Menschwerk ist. Was dem Bundeskanzler an seiner Stromrechnung als böser Auswuchs der Computerei erscheint, ist ja nur die Unfähigkeit beamteter Programmierer - aber das versteht die Öffentlichkeit nicht, daß der Computer ein reines unschuldiges Werkzeug ist, dem wir nur nicht gewachsen sind, weil wir nicht präzise genug denken können, um ihm anzuweisen. Die Unzuverlässigkeit und Unfreundlichkeit von Sytemen ist indes schier anläßlich. Es ist überhaupt kein Problem, in einer Zehntelsekunde durch einen unbedachten Tastendruck das Werk von Stunden. Tagen oder gar Monaten zunichte zu machen. Es erstaunt, daß oft Computer und Programme für teures Geld verkauft werden, die niemals vollständig funktionieren. Immer gibt es Spezifikationen, die unerfüllt bleiben, die Anzahl nichterfüllter Eigenschaften Ist größer als das menschliche Vorstellungsvermögen. Man fragt sich, was geschähe, wäre all das vollkommen. Vielleicht darf dieser Zustand einfach nicht eintreten, weil es dann nichts mehr zu grübeln gäbe...