(B)astard (B)uerohengst (F)rom the (Hell)

Erster und letzter Teil

Montag Morgen: Nach einer Woche Abwesenheit schleppe ich mich in mein Buero. Die letzte Woche habe ich auf einem Seminar zugebracht, das dem Thema "Planung: Ersetzen des Zufalls durch Irrtum" gewidmet war. Auf meinem Schreibtisch tuermt sich ein Berg Post, den ich aber erst einmal ignoriere.
Zunaechst muss ich mich um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens kuemmern - und das sind die Spesenabrechnungen. Ich starte meinen PC, auf dem ich mir ein spezielles Reisekostenprogramm gebastelt habe. Das Programm ist vernetzt mit meinem privaten Bankkonto und meinem privaten Finanzbedarfsplan. Die Berechnung der Spesen erfolgt retrograd, d.h. aus der Hoehe meines Finanzbedarfs errechnen sich meine Abwesenheitszeiten und die Aufwendungen waehrend meiner Reise. Gleichzeitig erstellt mein Grafikprogramm alle notwendigen Belege, wie die Rechnungen der Hotels, die Taxenrechnungen und die Bewirtungsbelege. Ich muss mir nur noch die Namen der Hotels und der bewirteten Personen ausdenken und in die Leerfelder eintragen.

Ich drucke die Abrechnung aus und kontrollierte noch einmal das Ergebnis. Ungluecklicherweise ist mein persoenlicher Finanzbedarf im Augenblick etwas gross, so dass die Abrechnung eine dreiwoechige Reise und Bewirtung von 45 Personen ausweist. Ich weiss, dass in der Spesenabrechnungsstelle ein sturer Buerokrat taetig ist, der sich bei einer Plausibilitaetspruefung vielleicht an solchen unwesentlichen Details stoeren koennte, deshalb aendere ich noch ein paar Daten, so dass es eine einwoechige Reise bei einer Bewirtung von 123 Personen wird. Das sollte genuegen. Ich unterschreibe die Abrechnung und lege sie in den Postausgangskorb.

Auf einem frueheren Seminar fuer Fuehrungskraefte habe ich gelernt, dass man bei der Einteilung der Tagesarbeit unbedingt seinen persoenlichen Biorhythmus beruecksichtigen muss. Nach den empirischen Versuchen, die ich monatelang an mir durchgefuehrt habe, ist es fuer einen produktiven Arbeitstag unbedingt notwendig um 9.00 Uhr eine Teepause einzulegen.

Ich hole meine beiden Teekannen aus dem Stahlschrank, spaziere in die Kueche und setze Wasser auf. Geduldig warte ich darauf, dass das Wasser zu kochen beginnt. Ich wiege auf der kleinen Goldwaage, die ich in Eigeninitiative an der Kuechenwand angebracht habe, sorgfaeltig 10 g Darjeeling First Flush ab. Sobald das Wasser zu kochen beginnt - man darf es auf keinen Fall sich totsprudeln lassen - schuette ich den Darjeeling in die erste Kanne und sehe auf den Sekundenzeiger der Uhr. Nach 90 Sekunden giesse ich den Tee in die zweite Kanne um und schlendere zurueck in mein Buero.
Entspannt setze ich mich auf meinen Stuhl und schluerfe meinen Darjeeling. Das Telefon klingelt. Wer stoert denn jetzt in diesem entscheidenden Augenblick meines Schaffensprozesses?

Ich trinke noch einmal von meinem Tee, schliesse die Augen und spuere dem Nachgeschmack des Darjeelings auf dem Gaumen nach. Das Telefon klingelt ruecksichtslos weiter. Also doch mal rangehen.

Es ist unser Pfoertner, der mir mitteilt, dass eine Spedition hier sei, die eine Lieferung fuer mich hat. Aaah, endlich ist es also soweit. Nachdem ich jahrelang unserem Vorstandsvorsitzender erzaehlt habe, wie grossartig ein Managementinformationssystem sei, hatte er vor ein paar Wochen die Investition bewilligt. Der Vorstandsvorsitzende will immer alles wissen, deshalb konnte ich ihn damit koedern, dass er mit einem solchen System die aktuellen Kennzahlen unseres Betriebes, die gesamtwirtschaftlichen Vergleichsdaten, die Bankkontoauszuege aller Mitarbeiter und das aktuelle Abendprogramm aller Cabarets in 100 km Umkreis sehen koennte. Die Zugriffsmoeglichkeit auf die letztgenannte Information gab den Ausschlag fuer seine Zustimmung zu dieser Investition.

Ich beauftrage einen Gabelstaplerfahrer die Ladung vor die Tuere des Vorstandsbunkers zu transportieren. Ein Gefuehl der Vorfreude durchstroemt meinen Koerper. Seufzend verlasse ich meinen Tee. Zu den Fuehrungskraeften zu gehoeren fordert grosse Opfer.

Ich gehe zum Vorstandsbunker, wo bereits eine Gitterbox auf mich wartet, aus der ein Berg brauner Pappkartons ragt, die mit verheissungsvollen japanischen Schriftzeichen bedeckt sind. In diesen Kartons ist alles enthalten, was man fuer ein Managementinformationssystem benoetigt: einige PCs, Bildschirme, Drucker, Modems und Netzwerkzubehoer.
Dann borge ich mir bei unserem Hofdienst eine Schubkarre, packe die Geraete aus und werfe sie in die Schubkarre. Ich ueberlege einen Moment, wie ich das Problem der Entsorgung der Kartonagen bewaeltigen koennte. Mein Umweltbewusstsein gibt mir eine Idee ein, wie eine fachgerechte Entsorgung zu bewerkstelligen sei: Ich stopfe die leeren Kartons in die Briefkaesten des hausinternen Postdienstes; wobei ich auf eine gerechte Verteilung auf alle meine Lieblingsfeinde sorgfaeltigst bedacht bin.

Ich fahre dann die meterhoch mit Elektronik beladene Schubkarre in den Chefbunker. Sekretaerin Nr. 1 will mich zunaechst nicht in das Buero des Chefs vorlassen. Der Boss ist heute nicht im Haus. Sekretaerin Nr. 1 erzaehlt mit wichtiger Miene etwas von einer Geschaeftsreise. Die kann mir viel erzaehlen - ich weiss Bescheid! Das ist wieder eine dieser Incentivereisen, bei denen er einige Kunden in einem Bordell freihaelt und dabei selbst den groessten Rechnungsbetrag verursacht. Innovative Kundenbetreueung nennt sich das.

Ich habe also an diesem Tag volle Bewegungsfreiheit in seinem Buero und gedenke diesen Zustand optimal auszunutzen.
Wenn der Vorstandsvorsitzende nicht im Haus ist, fuehlt sich Sekretaerin Nr. 1 als seine Stellvertreterin - obwohl sie, ausser nett auszusehen, eigentlich nichts kann. Ich erklaere ihr geduldig den Zweck meines Kommens und zwaenge mich mit meiner Schubkarre an ihr vorbei in die Zentrale des Chefbunkers. Dort kippe ich den ganzen Kram auf den Teppich.

Zunaechst bringe ich die Schubkarre zurueck auf ihren Platz. Schliesslich muss man mit Betriebseigentum sorgfaeltig umgehen. Dann begebe ich mich wieder in das Buero des Vorstandsvorsitzenden und schaffe auf seinem Schreibtisch den notwendigen Platz fuer das Managementinformationssystem. Ich kippe alles was auf dem Schreibtisch liegt in den Papierkorb. Es ist an der Zeit, dem Boss zu demonstrieren, dass die Zukunft dem papierlosen Buero gehoert.

Die Hardware entspricht dem Qualitaetssiegel "Plug and Pray"; deshalb habe ich das EDV-Geruempel innerhalb von nur fuenf Stunden betriebsfertig montiert. Um das externe Netzwerk zu kontrollieren, logge ich mich kurz beim Beate Uhse Versand ein und pruefe das Angebot. Weil ich schon einmal da bin, bestelle ich umfangreiches Informationsmaterial an die Privatadresse des Vorstandsvorsitzenden und gebe als Empfaenger den Namen seiner Frau mit an. Damit die Unterlagen auch ganz sicher ihr Ziel erreichen, bestelle ich das gleiche Material noch einmal an seine Geschaeftsadresse. Dann lade ich noch ein pornographisches Bild aus dem Beate Uhse Rechner und installiere es als Grafik der Planzahlen fuer das kommende Jahr im Managementinformationssystems. Das sollte fuer den Vorstandsvorsitzender Motivation genug sein, sich mit der strategischen Planung unseres Unternehmens zu befassen.

Zum Abschluss der Installation rufe ich vom Telefon des Chefs aus noch eine dieser guenstigen Nummern in der Karibik an, wo einem eine virtuell erregte Dame alle moeglichen Schweinereien zufluestert, speichere das Gestoehne als Soundfileauf der Festplatte des Managementinformationssystems und lege fuer mich eine Sicherungsdiskette an. Eine durchdachte Backupstrategie kann lebenswichtig sein fuer ein erfolgreiches Unternehmen. Ich richte die Startdateien so ein, dass dieses interessante Soundfile jedesmal beim Start des PCs abgespielt wird. Nach den neuesten betriebspsychologischen Erkenntnissen dient eine derartige Massnahme der Mitarbeitermotivation in nicht unerheblichem Masse.

Bevor ich gehe, zeige ich Sekretaerin Nr. 1 noch, wo der Knopf zum Einschalten an dem PC ist, damit sie sich auch ein wenig mit der Technik der Zukunft befassen kann. Ich verlasse aber den Chefbunker bevor das System komplett hochgefahren ist und das Soundfile startet. Ich kenne es ja schon.

Durchaus zufrieden mit meinem Tagwerk gehe ich zurueck zu meinem Buero. Als ich an der Tuere meines Abteilungsleiter vorbeikomme, sehe ich durch den offenstehenden Tuerspalt, dass der Abteilungsfuerst im Augenblick nicht anwesend ist. Ich habe ja noch auf einer Diskette eine Sicherungskopie von dem Soundfile und von dem pornoesen Bild gemacht und mich durchzuckt noch die Idee einer weiteren produktiven Anwendungsmoeglichkeit.
Es muesste der Harmonie in der Fuehrungsetage doch foerderlich sein, wenn mein Abteilungsleiter auch in den Besitz dieser wichtigen Informationen kaeme. Also installiere ich flugs auf seinem PC das Gestoehne aus der Karibik und ueberlege, was mit dem Pornobild zu machen sei. Um etwas Abwechslung in die Sache zu bringen, konvertiere ich es zu einem Bildschirmschoner und richtet diesen so ein, dass er sich jedesmal aktiviert, wenn man drei Sekunden auf keine Taste gedrueckt hat. Um den Bildschirmschoner vor versehentlicher Beschaedigung zu schuetzen, sichere ich ihn noch mit einem Password. Diese Sorgfalt wuerde den Abteilungsleiter sicher erfreuen.

Endlich wieder in meinem Buero lege ich die Fuesse auf den Tisch und stecke mir eine Zigarre an. Mein Tee war natuerlich kalt geworden. Scheissstress!

Karl.Jahn@t-online.de

Also doch das befuerchtete 2. Kapitel des (B)astard (B)uerohengst (F)rom (H)ell

2. Kapitel

Sekretaerin Nr. 3.

Dienstag Morgen. Heute frueh im Bett, als mich der Schlummer langsam verliess, hatte ich gehofft, dass es vielleicht heute einmal nicht 7.00 Uhr werden koennte und dass vielleicht dieses einmal der Wecker nicht klingeln wuerde. Diese Hoffnung war aber leider im grausamen Scheppern der Aufweckmaschine zerstoben. Wieder ein neuer Tag. Na wartet!

Ich betrete mein Buero, sinne nach Rache dafuer, dass die Welt existiert und suche nach einem Opfer.
Viel zu frueh kommt Sekretaerin Nr. 3 in mein Zimmer und fragt nach den neuesten Ergebniskennzahlen fuer den Abteilungsfuersten. Sekretaerin Nr. 3 ist eine der uebelsten Giftspritzen der Firma und hat den entscheidenden Fehler mich zu oft vor 9.00 Uhr morgens anzusprechen.
Ausserdem ist sie total verknallt in den Abteilungsfuersten und wuenscht sich seit vielen Jahren vergeblich, von ihm geheiratet zu werden. Das wirft natuerlich ein bedenkliches Licht auf ihren Sinn fuer AEsthetik.

Leider hatte ich total vergessen, die Ergebniskennzahlen zu erstellen. Zeit gewinnen!
"Ich habe die Zahlen bereits waehrend des Wochenendes zuhause ermittelt. Ich drucke sie sofort aus und bringe sie Ihnen in fuenf Minuten", floete ich zu Sekretaerin Nr. 3 und packe meinen charmantesten Augenaufschlag aus.
Sie schuettelt ob meiner Disziplinlosigkeit den Kopf und verlaesst mich, irgendetwas vor sich hinmurmelnd. Ich starre ihr hinterher und schwarze Gedanken steigen aus der Tiefe meiner Seele auf. Zunaechst aber muss ich die Ergebniskennzahlen kreieren. Ich starte meinen PC und werfe den Zufallsgenerator an. Zwei Minuten spaeter entsteht der Ausdruck mit den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Das hat bisher immer genuegt.
Ich eile zu Sekretaerin Nr.3. Sie hat ein Buero gemeinsam mit den Sekretaerinnen Nr. 4 und Nr.6; wir nennen den Raum "Das Frauenhaus". Ich suelze:"Hier bitteschoen, extra in Schoenschrift gedruckt." Sekretaerin Nr. 3:"Vielen Dank, vielleicht koennten Sie naechstes Monat die Zahlen etwas frueher bringen. Ich habe keine Lust immer auf Sie zu warten. Alle anderen geben ihre Zahlen stets puenklich ab." Was soll das. Will sie Krieg?
"Sie sind immer der letzte, der seine Zahlen bringt und so schwierig kann das bisschen Zeug ja auch nicht sein!"
Ja, ich glaube, sie will Krieg.
"Die paar Zahlen kann man doch wirklich in ein paar Minuten erstellen."
Sie blickt stirnrunzelnd auf meine Ergebniszahlen.
"Sieht sowieso aus, als ob es mit einem Zufallsgenerator erstellt worden waere."
Albernes Gekiecher der Sekretaerinnen Nr. 4 und 6.
Es wird Krieg geben!

Ich fuehre einen geordneten Rueckzug durch, begebe mich in mein Buero und koche erst einmal eine Kanne Tee. Beschreibung hierzu siehe Kapitel 1.
Ich rauche eine Zigarre, trinke meinen Darjeeling und plane mein weiteres Vorgehen. Eine differenzierte Unternehmensplanung ist der Schluessel zu allem Erfolg in der Marktwirtschaft. Ja, so wird es gemacht:
Ich versuche mich mit dem Usernamen und dem Password des Abteilungsfuersten in den Rechner einzuloggen. Die Userbezeichnung ist kein Problem: Abkuerzung der Abteilung und die Nummer "1". Das wird ueberall so fantasievoll gehandhabt.
Sein Password duerfte auch kein Problem darstellen. Zunaechst versuche ich es mit seinem Vornamen rueckwaerts geschrieben: geht nicht; dann mit "Pamela Anderson": geht auch nicht; sein Nachname rueckwaerts geschrieben: nee, haut nicht hin - und der Rechner weist mich total hinaus.
Also dann eben noch einmal von vorn: User Abteilungsabkuerzung und die "1", ich versuch es mal mit dem Password: "Produktiv": geht auch nicht; haette auch nicht zu ihm gepasst; warte mal, er ist doch Hobbyangler. Also: "Karpfen": geht nicht; "Hecht": Login! "Hecht" war es also - tss, tss.!

Ich benutze den Shedule plus und gebe in den Kalender von Sekretaerin Nr. 3 ein Date fuer 20.00 Uhr im feinsten Restaurant der Stadt ein. Absender Abteilungsfuerst und Bitte um Diskretion.

Mittags in der Kantine. Was gibt es denn heute ? Sieht aus wie Pattex, Schmieroel und Fensterkitt. Ich lese auf der Speisekarte:
Kalbsmedaillon "Koenigin" mit Kartoffelpuerree . Na ja, der Adel ist auch nicht mehr das, was er einmal war.
Aus einem mir unbekannten Grund sitze ich immer allein an einem Tisch. Ich wuerge das Pattex in meine Speiseroehre und beobachte an einem Nebentisch die Sekretaerinnen Nr. 3, 4 und 6. Normalerweise plabbern sie immer wild durcheinander und kommentieren fachkundig und kritisch die Garderobe eines jeden, der die Kantine betritt. Heute tun das aber nur die Sekretaerinnen Nr. 4 und 6. Sekretaerin Nr. 3 blickt vertraeumt aus dem Fenster und ihre Wangen bluehen rosig. Aha, die Bombe hat bereits gezuendet; sie sieht die Erfuellung ihrer jahrelang gehegten Wuensche kommen.
Was freue ich mich auf morgen. Ich mache mir nur ein wenig Sorgen um die Gesundheit meines Abteilungsfuersten. Na ja, sollte er einem Unfall zum Opfer fallen, haette vielleicht ICH die Chance Abteilungsfuerst zu werden. Ich werde morgen ausnahmsweise einmal puenklich kommen, um nicht wichtige Ereignisse in unserer Firmengeschichte zu verpassen.

Karl.Jahn@t-online.de
Hier ist er, der befuerchtete dritte Teil der Bastard-Buerohengst-Saga. Heute ist unser unheldischer Held auf einer Betriebsversammlung, wo er eigentlich gar nicht sooo viele Moeglichkeiten hat, sich als Bastard zu beweisen. Aber...

Bastard Buerohengst from Hell (3)

von Karl Jahn

Die Betriebsversammlung

Mittwoch 13.30 Uhr. Heute ist bereits frueher Arbeitschluss, weil eine Betriebsversammlung angesagt ist. Eigentlich ist es ziemlich aetzend, sich 3 Stunden vor Feierabend noch einmal von seinem Platz erheben zu muessen, aber seit der Vorstand entschieden hat, dass jeder der Anwesenden ein Paar Weisswuerste und ein Bier auf Kosten des Hauses bekommt, ist mein Interesse an der Betriebsversammlung betraechtlich gestiegen.
Ich mache mich auf den Weg in die Kantine, wo diese spannende Veranstaltung steigen soll. Aus allen Buerotueren stroemen Sachbearbeiter, Obersachbearbeiter, Gruppenleiter. Die Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter stroemen noch nicht. Zum einen gibt es davon nicht so viele, dass sie stroemen koennten, zum anderen bleiben die immer in ihren Bueros bis unmittelbar vor Beginn der Versammlung, damit der Eindruck erhalten bleibt, dass sie voellig mit Arbeit ueberlastet sind.
Ich beeile mich, weil ich weiss, dass die besten Plaetze, hart umkaempft sind. Fuer mich sind die besten Plaetze diejenigen mit dem groessten Sicherheitsabstand zum Rednerpult.
Ich betrete die Kantine und peile die Lage. Die letzten beiden Reihen sind schon belegt. Haben die Kerle denn gar keine Arbeit, weil sie schon so fruehzeitig hier sitzen koennen? Also in die drittletzte. Geht auch noch.
Langsam fuellen sich die Reihen von hinten nach vorne. Die vorderen 10 Reihen sind noch total leer.
10 Minuten vor dem offiziellen Beginn kommt bereits der Vorstandsvorsitzende aus seinem Bunker angereist.
Er wirft den Mann-von-Welt-Blick durch den Saal, mustert die bereits Anwesenden auf den hinteren Reihen, geht durch den Mittelgang bis in die letzten Reihen und sagt besonders leutselig:"Die Leute, die heute eine Rede halten, spucken nicht. Sie koennen ruhig weiter nach vorne kommen." Dabei lacht er ein selbsicheres, zufriedenes Lachen. Hoefliches, pflichtbewusstes Lachen auf den letzten drei Reihen antwortet ihm - schliesslich ist dem Vorstand ein Witz gelungen - aber niemand steht auf, um sich weiter nach vorn zu setzen, soweit will doch niemand die Hoeflichkeit treiben. Der Vorstand zieht unverrichteter Dinge wieder ab in Richtung Rednerpult. Zwei Minuten vor dem offiziellen Beginn treffen auch schon die Abteilungsfuersten ein. Ihr Minenspiel oszilliert zwischen dem gehetzten Eindruck eines Menschen, der zu viel arbeitet und der ueberlegenen Ruhe, die man von einer Fuehrungspersoenlichkeit erwartet.
Sie nehmen ohne zu zoegern Kurs auf die beiden vordersten Reihen. Sie halten naemlich im Gegensatz zum Fussvolk die ersten beiden Reihen - wo sie voll um Blickfeld des Vorstandes sitzen - fuer die besten Plaetze. Diese Verteilung der individuellen Vorlieben ist ganz praktisch. Dadurch kommt es nie zu einem Gedraenge.
Das Bedienungspersonal der Kantine eroeffnet die Betriebsversammlung, indem sie in der ersten Reihe beginnen die Weisswuerste und das Bier zu servieren. Der Vorstandsvorsitzende eroeffnet die Betriebsversammlung, indem er seine lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begruesst. Er will uns heute seine Eindruecke einer Bildungsreise des Unternehmerverbandes nach Belutschistan mitteilen. Nach einigen belanglosen Einleitungssaetzen ueber die Lage des Unternehmens und unsere Zukunftsaussichten kommt er gleich zur Sache. "Die Arbeiter in Belutschistan arbeiten 65 Stunden in der Woche; und da frage ich sie, wie wir in Deutschland, wo wie meisten von IHNEN nur noch 35 Stunden arbeiten, konkurrenzfaehig bleiben wollen."
Ich ueberlege, ob er bei der letzten Betriebsversammlung nicht etwas aehnlichen ueber die Elfenbeinkueste erzaehlt hatte. Tief in Gedanken versunken ueber die Wettbewerbsfaehigkeit der deutschen Wirtschaft schweift mein Blick einmal kurz zwei Reihen nach rechts vorne. Dort sitzen die Sekretaerinnen aus der Vertriebsabteilung. Da der Vetrieb das Aushaengeschild unseres Unternehmens ist, arbeiten dort ein paar ansehnliche Damen. Es hat mich schon lange die Frage beschaeftigt, ob Sekretaerin 17 oder Sekretaerin 14 die laengeren Beine hat. Ich beuge mich etwas nach vorne, was den Eindruck erweckt, ich wuerde dem Vortrag des Vorstandes mit erhoehter Aufmerksamkeit folgen, aber in Wirklichkeit meine Perspektive auf die Beine der Damen verbessert. Ja also, von hier aus scheint es mir, dass Sekretaerin 14 etwas hochbeiniger waere. Als ich letzte Woche einmal durch die Personalstammdatei surfte, suchte ich darin vergeblich nach Angaben ueber diese wichtigen Charakteristika. Warum sind eigentlich solch wesentliche Daten nicht in der Personalstammdatei eingetragen? Was interessiert es mich, welche Noten Sekretaerin Nr. 14 vor 10 Jahren in der Schule hatte. Nichts! Aber ihre Masse (Anmerk. der Red. die ASCII-Schreibweise "Masse" waere hier sinnentstellend), die wuesste ich gerne. Das sind doch sicher auch Kriterien, die bei Einstellungsgespraechen eine Rolle spielen. Ob eine schriftliche Eingabe zu unserem betrieblichem Verbesserungs-Vorschlagswesen Chancen auf Verwirklichung haette?
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Der Vorstand:"Die Arbeiter in Belutschistan sind so selten krank, dass das Wort ´Krankheit´ in der belutschistanischen Sprache gar nicht existent ist."
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Mein Blick wandert zu dem Inhalt der Blusen der Sekretaerinnen vom Vertrieb. Ich versuche ihre Oberweite zu schaetzen und ueberschlage das arithmetische Mittel. Danach stelle ich die gleiche Rechnung bei den Sekretaerinnen des Einkaufs an, die auf der linken Seite sitzen. Ja, ich glaube, bei einem Vergleich der beiden Werte haben die Vertriebssekretaerinnen die Nase vorn - naja, Nase?

Endlich sind die Bedienungen bis zu meinem Platz in der drittletzten Reihe vorgedrungen und ich bekomme mein Bier und meine Weisswuerste. Ich erwaege eingehend, ob ich die Weisswurst schneiden oder zuzeln soll.
Der Vorstandsvorsitzende ist inzwischen maechtig in Fahrt gekommen. "Der Arbeiter in Belutschistan hat im Jahr 3 Tage Urlaub, die er aus Ruecksicht auf die Firma, an Sonntagen nimmt."
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Ich zuzele meine Weisswurst, sauge am Bier und ruelpse diskret.
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Der Vorstand:"Die Lohnnebenkosten sind in Belutschistan ein Minusbetrag, weil der Arbeiter an Sonntagen sein Geld nicht in der Kirche in den Klingelbeutel wirft, sondern am Montag in den Firmen in die Opferstoecke wirft."
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Ob dieser Aussichten gebe ich der Bedienung einen Wink, dass sie mir noch ein zweites Bier bringen soll. Das zweite Bier geht leider nicht mehr auf Firmenkosten, sondern muss selbst bezahlt werden; aber das nehme ich momentan in Kauf.
Nach meinem zweiten Bier scheitere ich am Versuch die statistische Standardabweichung der Oberweiten der Vertriebssekretaerinnen zu berechnen. Zur naechsten Betriebsversammlung werde ich mein Laptop mitbringen - oder Tee trinken.
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"In Belutschistan bringt jeder Arbeiter sein Werkzeug selbst von zuhause an seinen Arbeitsplatz mit. Das bei der Firma eingesparte Geld kann vom Unternehmerverband zu Bildungsreisen auf die Bahamas benutzt werden und die dort gewonnenen Erkenntnisse helfen den Unternehmern von Belutschistan, weitere Arbeitsplaetze zu sichern."
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Der immer entschlossener werdende Tonfall des Vorstandes weist darauf hin, dass das Ende seines sachkundigen Vortrages naht. Jetzt heisst es aufzupassen. Es kommt ein schwieriger Moment im Leben eines Bastard Buerohengstes.
Es gilt es das festgelegt Reglement zu beachten, das man bei keinem Universitaetsstudium lernen kann: Nach einer Rede des Vorstandes applaudieren alle Fuehrungskraefte, diejenigen, die es einmal werden wollen und diejenigen, die glauben, es heute schon zu sein. Keinen Applaus goennen ihm das ganze Fussvolk und diejenigen, die einmal Fuehrungskraefte waren.
Als Bastard Buerohengst fuehle ich mich zu keiner dieser Gruppen zugehoerig und deshalb ist am Ende einer jeden Rede hoechst diplomatisches Verhalten gefragt. Ich ziehe laut schniefend den Inhalt der Nase hoch, hole schnappend Luft und immitieren einen Nieser. Einige meiner Sitznachbarn blicken mich unwillig an und ich laechele entschuldigend zurueck und stecke meine Haende tief in meine Taschen auf der angeblichen Suche nach einem Taschentuch. Optimales Timing! Der Vorstand beendet gerade seine Rede und verlaesst das Rednerpult, die Abteilungsfuersten in den ersten beiden Reihen applaudieren begeistert, wie es von ihnen erwartet wird. In der dritten Reihe sitzen ein paar unentschlossene, die zumindest andeutungsweise die Haende bewegen. Ich ziehe mein Taschentuch heraus und schneuze mich prustend. Aah, die Situation habe ich ueberstanden. Der Vorstand kann sich nicht es mir nicht uebelnehmen, dass ich mich gerade schneuzen musste und das Fussvolk hat ja gesehen, dass ich nicht applaudiert habe.
Aber, aber, was hab ich denn da gesehen! Mueller vom Vetrieb hat apllaudiert. Zaehlt der sich jetzt schon zu den Koepfen? Bei der letzten Betriebsversammlung apllaudierte er noch nach der Rede vom Betriebsrat - gehoerte also noch zu den AErschen. Na ja, von mir aus.

Der Betriebsrat steht bereits am Rednerpult und fragt, ob es zu den Ausfuehrungen des Vorstandes Diskussionsbeitraege der Belegschaft gebe. Tut es natuerlich nicht. Hat es auch in den letzten 10 Jahren kein einziges Mal gegeben. 500 Augenpaare streifen abwesend ueber Fussboden und Decke. Ich weiss auch nicht, warum der Betriebsrat nach jeder Rede des Vorstandes wieder diese Frage stellt.

Also ergreift jetzt der Betriebsratsvorsitzende selbst das Wort und erzaehlt vom Solidarprinzip und vom Abgleiten in die Ellenbogengesellschaft.
.....
Ich betrachte noch einmal die Vetriebssekretaerinnen und es ueberkommt mich, meinen Charm spielen zu lassen. Mein drittes Bier bestaerkt mich in meiner Absicht. Zuerst muss ich erreichen, dass sie sich nach mir umdrehen. Ich rutsche meinen Stuhl knarrend hin und her. Ich raeuspere mich laut. Wirkt noch nicht. Ich immitiere eine Mischung aus Husten- und Erstickungsanfall.
Die erste Sekretaerin dreht sich nach mir um. Ich zwinkere ihr zu. Sie blickt mich einen Augenblick mit gerunzelter Stirn an und schenkt mir dann an Laecheln. Aaah. Es ist Sekretaerin Nr. 27. Liegt in meiner Hitparade der Beinlaengen im oberen Mittelfeld. Immerhin.
Die Sekretaerinnen stecken tuschelnd die Koepfe zusammen und die ganze Reihe dreht sich nach mir um. Sie kiechern.
Ich winke dezent mit meinen Augenbrauen.
......
Der Betriebsrat:"Solidarisch ist die Solidaritaet nur in der Solidaritaet!"
......
Ich ueberlege, welchen Ausgang Sekretaerin Nr. 27 nach Ende der Betriebsversammlung waehlen wird und berechne schon einmal einen Abfangkurs.
.....
Betriebsrat:"Ausserdem laesst sich natuerlich die Qualitaet der Arbeiten aus Belutschistan niemals vergleichen mit der Solidaritaet, die deutsche Arbeiter herstellen."
.....
Aus Tempus und Duktus der Rede schliesse ich, dass auch hier bald das Ende naht. Ich trinke eilig mein Bier aus und bereite mich wieder auf den schweren Moment des Beifallgebens vor. Ich moechte von den Abteilungsfuersten nicht beobachtet werden, wenn ich fuer den Betriebsrat applaudiere.
Also ist die Zeit wieder da fuer einen neuen Niessanfall. Ich stecke beide Haende bis zu den Ellenbogen in die Taschen auf die Suche nach meinem Taschentuch und schaffe es nicht die Aktion abzuschliessen bevor der Beifall fuer den Betriebsrat verebbt ist.

Ich erhebe mich von meinem Platz und meine optischen Scanner verfolgen Sekretaerin Nr. 27. Mein Bordcomputer berechnet ihren wahrscheinlichen Kurs zum Ausgang und die Steuerungsautomatik beauftragt meine Fuesse mit voller Impulsgeschwindigkeit einen Abfangkurs einzuschlagen. Dicht vor der Tuere bin ich nahe genug bei Sekretaerin Nr.27, um eine akkustische Kommunikation initiieren zu koennen.
"Hallo."
Das hat gesessen!
Sie blickt mich an, ein Laecheln zeichnet feine Gruebchen auf ihre Wangen.
"Auch Hallo."
"Wie waere es, wenn wir die Betriebsversammlung an einem anderen Ort fortsetzen wuerden. Nur wir zwei?"
"Danke."
"Danke ja oder danke nein?"
"Danke nein!"
"Ohh, ich dachte, weil Sie mich so schoen angelaechelt haben..."
"Aber doch nur weil Sie ueberall Weisswurstsenf im Gesicht verschmiert haben!"

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Karl.Jahn@t-online.de

Bastard Buerohengst from the hell (4)

Karl Jahn

LOGISTIK

Der boesartig, pathologische Bueroneurotiker ist wieder am Werk. Duester umwoelkt ist heute der Himmel, stets duester umwoelkt sind die Gedanken hinter der Stirn des Bastard Buerohengstes.

Donnerstag. Ein trueber, verregneter Vormittag. Friedlich trommelt der Regen auf das Fensterblech im 3. Stock des Buerogebaeudes und gluckert die loechrige Dachrinne hinunter. Dieses Geraeusch wirkt immer anregend auf meinen urulogischen Koerperbereich, aber ich kann ja nicht staendig rennen, schliesslich gibt es viel zu tun. Trotz meiner mannigfaltigen Pflichten werfe ich einen Blick aus dem Fenster und beobachte die Blasen, die der platschende Regen auf dem schwarzen Asphalt hinterlaesst.
Ich entspanne mich bei dieser lehrreichen Naturbeobachtung. Ein beruhigendes, wenn auch etwas abwechslungsarmes Schauspiel. Gerade faehrt ein grosser LKW in unseren Fabrikhof ein, der eine Ladung Rohstahl bringt. Er haelt vor unserem Wareneingang. Ich beobachte neugierig, was jetzt geschieht. Seit letzter Woche haben wir unseren Materialfluss total automatisiert. Ein neuer Rechner steuert das gesamte Logistiksystem vom Wareneingang bis zum Versand. Der LKW haelt neben der Laderampe, ein Sensor uebermittelt dem Logistikrechner, dass jemand begehrt Ware abzuladen. Der Fahrer oeffnet seine Wagentuere zur Haelfte und mustert eine Weile den grauen Himmel und den stroemenden Regen, dann steigt er missmutig aus. Anscheinend kein Regenfan. Er schlaegt die Plane von der Ladeflaeche zurueck und wartet auf den Haengekran, der sich wie von Geisterhand bewegt ueber den LKW bewegt. Der Fahrer steigt auf die Ladeflaeche und befestigt den Kranhaken an dem Stahlbuendel. Ein automatisch gesteuerter Gabelstapler kommt aus der Halle gefahren und parkt neben dem LKW. Der Kran hebt die Ladung vom LKW, legt dem Gabelstapler die Stahlstangen auf die Gabel und klappt sich danach selbstaendig wieder ein. Der Gabelstapler setzt sich in Bewegung und faehrt in die Lagerhalle. Der anliefernde Chauffeur muss noch die Begleitpapiere in einen Leseautomaten an der Wand des Wareneingangs stecken und kann dann wieder abfahren. Ja, sieht ganz pfiffig aus.
Als verantwortungsbewusster und mitdenkender Mitarbeiter interessiert mich die Stoeranfaelligkeit dieses Systems. Schliesslich koennte durch einen Fehler in diesem Logistigkrechner ein ernsthafter Schaden fuer unser Unternehmen drohen.
Ich gehe zurueck zu meinem Arbeitsplatz und logge mich in den Logistkrechner ein. In ordentlichen Spalten erscheinen auf dem Bildschirm alle Waren die heute zugegangen sind. Die eben angelieferte Fuhre Stahl ist auch schon aufgefuehrt. 300 kg 42CRNIMOS4V sind gerade auf dem Weg in das Hochlager. Ich schalte das Logistiksystem auf Nothandsteuerung um und erhoehe die Zugangsmenge um drei Nullen, dann stelle ich das System wieder auf Automatik. Wollen doch mal sehen. Es ist an der Zeit fuer meinen Betriebsrundgang, den ich taeglich zur Informationsbeschaffung vornehme. Ich nehme wie immer den kuerzesten Weg in die Produktionshalle und der fuehrt durch die Lackiererei. Die Lackiererei kann man nur durch eine staehlerne, selbstschliessende Feuerschutztuere betreten und am anderen Ende wieder durch eine ebensolche verlassen. Mich nervt es immer, dass diese Tueren geschlossen sind. Jedesmal wenn ich hier vorbeikomme muss ich die Haende aus den Taschen nehmen, um diese Tueren zu oeffnen. Um anderen Mitarbeiter dieses UEbel zu ersparen stelle ich einen geoeffneten Kuebel Nitrolack so in die Tuere, dass diese sich nicht mehr schliessen kann. Das gleiche auf der anderen Seite. Was das wieder Zeit spart und die Produktivitaet erhoeht! Und ich bekomme dafuer nicht einmal eine Belohnung.
Beim Betreten der Produktionshalle stolpere ich erst einmal ueber eine Palette mit Bauteilen. Schlamperei! Wer hat das Ding denn genau vor die Tuer gestellt. Ich sehe mich in der Halle um und wundere mich ueber die Berge von Paletten und Gitterboxen, die ueberall unsystematisch herumstehen. Eine ganzes Rudel automatisch gesteuerter Gabelstapler faehrt kreuz und quer durch die Halle und transportiert Teile nach einem undurchsichtigen Plan. In einigen Gitterboxen, die von den Staplern durch die Gegend gekarrt werden, stehen wild fuchtelnd und um Hilfe rufend Mitarbeiter. Einige von ihnen bearbeiten die Automatikgabelstapler wuetend und scheinbar verzweifelt mit Haemmern. Insgesamt erinnert das Bild an den Strassenverkehr zur Hauptverkehrszeit in Kairo. Das Personal schwirrt umher wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm.
Scheint irgendein Problem zu geben.
Dort hinten sehe ich den Schorsch. Er ist unser Produktionsleiter. Im Augenblick hat Schorsch´s Kopf die Faerbung eines radioaktiv bestrahlten Rubins, in seinen Augen flackert panische Hysterie. "Morgen, Schorsch."
"Was willst", fragt er mit ueberschlagender Stimme.
"Gibt es Probleme?"
"Das gottverdammte neue Logistiksystem spinnt. Aus irgendeinem Grund hat das Ding ploetzlich angefangen das gesamte Lager zu raeumen und faehrt saemtliche Bestaende in die Werkstatt."
Niemand kennt den Grund? Ich bewundere die Konsequenz des Logistikrechners. Er braucht Platz fuer die Stahllieferung von 300000 kg und transportiert deshalb alle Bauteile, die in den naechsten drei Monaten sowieso gebraucht werden in die Werkstatt. Doch, doch der Programmablauf ist schon durchdacht.
Schorsch hetzt einem der automatischen Gabelstapler hinterher, greift ihn von hinten und versucht ihn aufzuhalten. Der Stapler faehrt aber unbeeindruckt mit Schorsch im Schlepptau weiter.
Die Hilfslosigkeit meiner Kollegen laesst mich an der Qualitaet der Schulungsprogramme zweifeln. Ich will den Burschen helfen und gehe zum Ende der Produktionshalle, wo das Terminal steht an dem die fertigestellten Auftraege abgemeldet werden.
Der hier taetige Mitarbeiter duelliert sich ebenfalls gerade mit einem Automatikgabelstapler, sodass sein Arbeitsplatz verwaist ist. Um ihm zu helfen, melde ich die Auftraege der naechsten drei Monate vorsorglich fertig. Das sollte unser Problem in einigen Stunden loesen, weil das Logistiksystem jetzt automatisch die Speditionen benachrichtigt, um die Waren abzutransportieren. Das wird wieder Platz, Ruhe und Ordnung schaffen. So einfach ist das.
Nun geht es mir in dieser Halle doch ein wenig zu hektisch und unkoordiniert zu und da ich ein sehr harmoniebeduerftiger Mensch bin, beschliesse ich die Halle zu verlassen. Ich springe in wahren Kaenguruhspruengen zwischen den wild gewordenen Staplern hindurch, deren Hauptstossrichtung sich seit meiner Fertigmeldeaktion deutlich Richtung Versandrampe verlagert hat. Gerade versuchen sie die halbfertigen oder gar nicht bearbeiteten Bauteile versandgerecht zu verpacken und zur Verladerampe zu verbringen.
Schorsch hat einen kurzen Moment aufgeatmet als der Drang der Stapler das Hochlager zu leeren etwas nachliess, aber er bekommt sofort wieder seine rubinrote Gesichtfarbe als er bemerkt, dass sich die Stapler daran machen die Rohteile und Halbfarikate zu versenden. Wieder jagt er den Staplern hinterher und versucht ihnen die unfertigen Werkstuecke zu entreissen.
Ich verlasse die Halle und bleibe einige Sekunden im Regen stehen. Ach, ist das friedlich!
Nur der melancholische Anblick des schwarzen Asphalts unserer Transportwege legt sich ein wenig auf mein Gemuet. Aber ich weiss auch da Abhilfe. Ich gehe trotz des Regens zu unserer Sondermuellsammelstelle und suche das Fass mit den oelgetraenkten Putzlappen. Unsere Arbeiter sind inzwischen schon fast so grosse Buerokraten, wie die Angestellten in der Reisekosteabrechnungsabteilung. Fein saeuberlich bringen sie ihre Putzlappen in das Fass mit dem doppelten Sicherheitsboden. Mit spitzen Fingern greife ich mir ein paar der Lappen und breite sie quer ueber die Strasse vor der Produktionshalle aus. Ein paar Sekunden beobachte ich noch wie der Regen die Lappen durchweicht und sich nach und nach herrlich bunte Rinnsale aufmachen, unseren Hof zu durchqueren. Huebsch!. Ich gehe zurueck in mein Buero; dabei nehme ich den Weg aussen um die Produktionshalle herum; innen ist es mir zu hektisch.
Zurueck in meinem Buero koche ich erst einmal einen Darjeeling FTGOP und stecke mir eine Zigarre an. Beim Weg in die Teekueche bemerke ich bei einem Blick ins Frauenhaus eine Reihe von Hinterteilen von unterschiedlicher Groesse und Formung, die sich mir entgegenstrecken. Die Sekretaerinnen Nr 4, 6, 7 haben das Fenster trotz des anhaltenden Regens geoeffnet und lehnen ueber den Fensersims. Netter Anblick. Sie kommentieren irgendwelche Geschehnisse auf dem Hof sehr aufgeregt. Immer am Betriebsgeschehen interessiert stelle ich mich dazu. Unten auf dem Hof laufen herrlich bunte Schlieren ueber den Asphalt. Ein malerischer Anblick. Sicher steigt die Produktivitaet der Angestellten, weil dieser Anblick wesentlich positiver auf das Gemuet wirkt als der schwarze, demoralisierende Asphalt. Etwas ueber Farblehre muss jede Fuehrunggskraft wissen.
Jede der Sekretaerinnen sucht sich ihre Liebslingsstelle auf dem Asphalt aus, wo sich ihrer Meinung nach die schoenste Faerbung gebildet hat. Es bildet sich eine angeregte Diskussion, wer denn nun den schoensten OElfleck entdeckt haette. In diesem Moment ertoent ein Sirenensignal und mehrere blaue Blinklichter auf den nassen Gebaeudedaechern beginngen zu kreiseln. OElalarm!
Pech fuer Schorsch, den Kapitaen unserer Werksfeuerwehr, dass er ausgerechnet jetzt so sehr beschaeftigt ist.
Vor unserer Verladerampe hat sich eine lange Schlange von LKWs der Speditionen gebildet, die das Logistiksystem automatisch geordert hat, um die von mir fertiggemeldete Ware abzuholen. Ich sehe auf der Rampe Schorsch im wilden Duell mit automatischen Staplern und den Fahrern der Speditionen, die die unfertigen Waren einladen moechten. Doch, doch die Logik in diesem neuen Logistiksystem ist durchaus nachvollziehbar. Vielleicht sollte der Hersteller noch ein paar kleinere Korrekturen an den Sicherheitsroutinen durchfuehren.

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