The Bastard Ass(i) has nothing to tell

Florian Schiel

Wie? Eine Geschichte? Schon wieder? Tut mir sehr leid, aber... Ich sehe, dass Schiel schon wieder sein Notebook aufklappt, aber heute muss ich ihn leider enttaeuschen: Es ist einfach nichts passiert, was eine Geschichte wert waere...
Wie bitte? Natuerlich weiss ich, dass es Freitag ist! Ist das vielleicht mein Problem? MEINE Idee war das nicht, jede Woche kostenlos eine unbezahlbare Episode aus meinem einzigartigen Leben an Tausende schmarotzender Internet-Benutzer zu versenden. ICH wuerde pro Nase und Geschichte mindestens $$$ verlangen (Betrag aus moralischen Gruenden von der Redaktion gestrichen).

Soso. Sie meinen, bei mir wuerde jede Woche etwas passieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Leser an langweiligen Wiederholungen interessiert sind. Das Leben besteht nunmal groesstenteils aus Routine. Natuerlich kann ich ueber meine uebliche Arbeit erzaehlen, Emails der Studentinnen scannen (beachte: kleines 'i'!), Reisekostenabrechnungen faelschen, Geldgeber an der Nase herumfuehren, die Haustechnik auf Trab halten, etc. etc. Aber das ist doch alles alter Kaese! Schnee von gestern! Kennt doch jeder bereits! Oder haben Ihre Leser ein so schlechtes Gedaechtnis, dass sie ueber denselben Gag fuenfmal lachen koennen?

Wie? Es kommen woechentlich 5 bis 10 neue Leser auf die Liste? Na, dann sollen die doch erstmal die alten Stories studieren, bevor sie sich hier mit den alten Hasen amuesieren wollen...
Nun gut. Nachdem Schiel wie immer nicht locker laesst und sowieso schon alles mitschreibt, was ich sage, kann ich genausogut irgendetwas daherfaseln.

Einer der ganz grossen Vorteile, wenn man einen unterbezahlten, zeitlich befristeten Job an der Uni hat (abgesehen von der tagtaeglichen Freude mit der Verwaltung!) ist die Tatsache, dass man praktisch nur von hochinteressanten Kollegen umgeben ist. In USA nennt man solche Leute vorsichtig 'characters'; hier zu Hause reicht die Bandbreite von 'Genie' bis 'total hypergeil abgewedelt'. Frau Bezelmann, Marianne und einige andere Kollegen kennt ihr ja bereits zur Genuege. Heute will ich euch mal ueber die versteckten Kleinodien erzaehlen, die im Verborgenen leuchten wie ein radioaktives Zifferblatt in einer Telefonzelle um 4 Uhr morgens in Wuppertal, in der der Strom ausgefallen ist.
(Warnung: die folgende Episode ist mit den abgefahrendsten Allegorien vollgestopft, die man sich vorstellen kann! Ich hoffe, damit die Anzahl der Abonnenten wieder auf ein vernuenftiges Mass zu druecken!)

Zum Beispiel komme ich wie ueblich gegen Mittag ins Buero, und unsere Pfoertnerin, Fraeulein Schwengelreiter, laechelt mir freundlich zu. Das waere an sich nicht so ungewoehnlich; sogar der BAfH bekommt ab und zu ein Laecheln - allerdings normalerweise nicht verkehrt herum. Fraeulein Schwengelreiter ist naemlich begeisterte Yoga-Anhaengerin und ihre liebste Uebung ist der Kopfstand auf den Pfoertnerstuhl - ohne Netz und Armlehnen. Manchmal haengt sie sich auch mit den Fersen an den Rohren der Klimaanlage auf, um 'die Wirbelsaeule zu dehnen'. Dann schaut sie mit ihren modisch-schwarzen Trauerklamotten aus wie eine riesige, gut gelaunte Fledermaus, die in Irkutzk zu lange in einem ungefegten Schornstein in Untermiete gehaust hat (da war wieder eine!).

Frau Katapopoulou, die griechische Kassiererin in der Cafeteria, ist auch ein besonderer Fall. Um die Abfertigung der langen Studentenschlangen an der Kasse zu beschleunigen, hat sie sich angewoehnt, bereits alles im voraus einzutippen, was sie von der Kasse aus sehen kann. Mit einem gellenden Zuruf "Sechsfuenfundzwanzig und zwei Pfandmarken!" wird man ueber zehn Koepfe hinweg ueber die zu berappende Summe informiert, waehrend der Kaffee noch in die Tasse plaetschert.
Irgendwann beschloss Frau Katapopoulou ihr System noch weiter zu verbessern, indem sie ihre angeborenen hellseherischen Faehigkeiten aktivierte. Ein Blick in das Gesicht eines Studenten - und Frau Katapopoulou weiss bereits, was er kaufen wird! Leider funktioniert das System nicht ganz einwandfrei, was zur Folge hat, dass jeder ganz schnell seine Einkaeufe im Kopf nachrechnen muss, wie ein wildgewordener Pentium Pro, dem man gedroht hat, mit Windoofs zu booten, wenn nicht ganz schnell die naechste Finite-Elemente-Simulation zu Ende bringt (da war schon wieder eine!) . Die Abfertigung wird dadurch zwar nicht schneller, aber immerhin trainiert Frau Katapopoulou auf diese Weise die kopfrechnerischen Faehigkeiten der Studenten...

Aber unser Glanzstueck ist und bleibt die Hilfsbibliothekarin Ramona, deren eigentliche Aufgabe es waere, die Buecher abzustempeln und allgemeine Auskuenfte zu erteilen. Ramona studiert Kommunikationswissenschaften - seit 18 Semestern - mit Nebenfach Philosophie. Ausserdem ist sie seit neuestem praktizierende Agnostikerin. Eine Begegnung mit Ramona laeuft ungefaehr so ab:
Ich: "Ich suche das Buch 'Tausend Tips fuer Daten-Terroristen' von B.E. Zelbub. Wo finde ich das?"
Ramona: "Ham' wa nich'."
Ich: "Aber es steht im Hauptkatalog, und hier habe ich sogar die Signatur..."
Ramona hebt den Blick von ihrem Spencer, in dem sie angeregt gelesen hat, und fixiert mich kritisch wie ein kurzsichtiges suedindisches Spitzmaulnashorn, das zum ersten Mal einen ostfriesischen Touristen mit gelben Turnschuhen erblickt (<- !!!):
"So! 'ne Signatur ham' Sie... Woher wissen Sie denn, dass es die richtige ist?"
Ich: "Ich habe sie aus dem Hauptkatalog..."
Ramona: "Woher wissen Sie denn, ob der Hauptkatalog ueberhaupt existiert?"
Ich: "Weil ich gerade noch darin herumgesucht habe!"
Ramona: "Und? Was beweist das?"
Ich: "Ich habe ihn gesehen und sogar die Schubladen herausgezogen..."
Ramona: "Trauen Sie immer bedingungslos dem, was Sie von Ihren angeblichen Sinnesorganen geliefert bekommen?"
Ich: "Ich traue ihnen zumindest soweit, dass da hinten um die Ecke der Hauptkatalog steht..."
Ramona: "Koennen Sie ihn immer noch sehen und beruehren?"
Ich: "Von hier aus natuerlich nicht..."
Ramona: "Woher nehmen Sie dann die Gewissheit, dass da hinter der Ecke nicht einfach das grosse Nichts anfaengt? Vielleicht bin ja ich und diese ganze Bibliothek hier nur ein Blendwerk, das ihr Gehirn Ihnen vorspiegelt. Wenn Sie also niemals sicher sein koennen, dass die Bibliothek existiert, was hat es dann fuer einen Sinn nach einem Buch zu fragen, dessen Existenz zumindest sehr fraglich ist?"
Ich versuche mich Ramonas Taktik anzupassen:
"Selbst wenn die Existenz des Buches fraglich ist, sind dennoch die nicht-existenten Inhalte dieses imaginaeren Buches fuer mich nuetzlich. Oder vielmehr scheint es so zu sein, und deshalb habe ich zumindest einen subjektiven Nutzen daraus gezogen. Folglich lohnt es sich fuer mich, auch ein existenz-fragliches Buch zu lesen."
Ramona lehnt sich zurueck und ueberlegt einen Augenblick, ob das Argument zieht. Dann sagt sie:
"In dem Moment, wo Ihnen klar wird, dass die Existenz des Buches nicht gesichert ist, duerften Sie eigentlich den Inhalten nicht mehr trauen. Alles andere waere ethisch nicht tragbar. Folglich sollten Sie das Buch besser gar nicht lesen. Dann sind Sie auf der sicheren Seite..."
"Na gut", versuche ich es nochmal, "nehmen wir mal an, dass wir uns beide einig sind, dass das Buch moeglicherweise nicht existiert, ok?"
"Moeglicherweise!" nickt Ramona.
"Dann", fahre ich fort, "kann es Ihnen doch voellig egal sein, ob ich das Ding lese oder nicht. Das heisst, selbst wenn in dem Buch etwas drinsteht, das wegen der moeglichen Nicht-Existenz von un-ethischer Natur ist, kann das doch kein Problem fuer mich oder fuer Sie sein, weil ja das Buch moeglicherweise sowieso nicht da ist."
"Aber vielleicht ja doch!"
"Ja, aber dann ist es ja automatisch nicht mehr un-ethisch!" schliesse triumphierend.
Ramona muss knurrend zugeben, dass dies so sei, und rueckt endlich mit der Information heraus, wo das verdammte Ding aufbewahrt ist.

Spaeter stelle ich fest, dass es unter der Rubrik 'Forensische Medizin' eingeordnet war.

Copyright Florian Schiel 1998